Die Liberalisierung des Schienenverkehrs hat neue kommerzielle Schienenverkehrsdienste und den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahnunfrastruktur gebracht. Doch was bedeutet das für die fahrgastfreundliche Fahrplanvertaktung, die Daseinsvorsorge und die gemeinwirtschaftlichen Verkehre, die im öffentlichen Auftrag die Grundversorgung der Bevölkerung in der Fläche sichern? Auch sie sind (und bleiben) von zentraler Bedeutung. Im Eisenbahngesetz und insbesondere auch mit der aktuellen EisbG-Novelle 2024 finden sie im Regulierungsrecht zunehmend wieder (mehr) Beachtung. Im Folgenden dazu einige Gedanken und Beispiele.
Ausgangslage
Die Liberalisierung des Eisenbahnsektors hat dazu geführt, dass heute diskriminierungsfrei Zugang zur Schieneninfrastruktur und den benötigten Serviceeinrichtungen und -leistungen zu gewähren ist. Beim Thema Regulierung denkt man daher meist an die Martköffnung, die neuen Marktteilnehmer und ihre Zugangsrechte bzw. die entsprechenden Pflichten der Infrastrukturbetreiber. Auch im Eisenbahngesetz wird die Förderung des Eintritts neuer Eisenbahnverkehrsunternehmen in den Schienenverkehrsmarkt ausdrücklich als Ziel hervorgehoben (§ 54 Z 2 EisbG).
Nicht übersehen werden darf bei alledem aber, dass das eisenbahnrechtliche Regulierungsrecht trotz aller Liberalisierungsschritte auch die gemeinwohloriente Daseinsvorsorge im Auge behalten muss. Die Beförderung von Fahrgästen auf der Schiene ist längst nicht immer, auf allen Strecken und zu allen Zeiten aus betriebswirtschaftlicher Sicht so ertragreich und interessant, dass automatisch eine ausreichende, flächendeckende und vor allem auch geordnete Grundversorgung der Bevölkerung im Schienenverkehr allein durch kommerziell im Wettbewerb agierende Verkehrsunternehmen sichergestellt wäre. Schon die Entwicklungen im 19. Jahrhundert haben gezeigt, dass eine effektive Daseinsvorsorge und Grundversorgung im Eisenbahnverkehr ein gewisses Maß an Steuerung erfordert.
Hier kommt die (gemeinwirtschaftliche) Beauftragung von Schienenpersonenverkehrsdiensten durch die öffentliche Hand auf Grundlage der PSO-VO (EG) 1370/07 ins Spiel. Sie sorgt für eine an gewissen Mindeststandards orientierte Grundversorgung der Bevölkerung mit Schienenpersonenverkehrsdiensten durch ausgewählte Betreiber neben den kommerziell (eigenwirtschaftlich) betriebenen Verkehren.
In Österreich ist dieses Nebeneinander von gemeinwirtschaftlichen und eigenwirtschaftlichen Verkehren bislang vor allem auf der Weststrecke und auf bestimmten Strecken in der Ostregion zu beobachten. Mit der Inbetriebnahme der Koralmbahn und des Semmeringtunnels wird es künftig vermutlich auch auf der Südstrecke zu einer ähnlichen Entwicklung kommen.
Müssen in einer solchen liberalisierten Schienenverkehrswelt im Zweifel die beauftragten (gemeinwirtschaftlichen) Verkehre immer gegenüber den kommerziellen Verkehren zurückstecken? Geht das Primat der Martköffnung immer vor? Nein, nicht immer. Das eisenbahnrechtliche Regulierungsrecht versucht durchaus, einen Ausgleich und ein Nebeneinander von gemeinwohlorienter Daseinsvorsorge, beauftragten Verkehrsdiensten und den kommerziellen (eigenwirtschaftlichen) Verkehren zu finden. Mit Blick auf den Fahrgastnutzen spielt zudem die bessere Absicherung von Verkehren, die nach dem System des integrierten Taktfahrplans organisiert sind, zunehmend eine stärkere Rolle.
Hier einige Beispiele:
Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts (economic-equilibrium-test)
Wird parallel zu einem gemeinwirtschaftlichen Schienenpersonenverkehrsdienst ein neuer kommerzieller (eigenwirtschaftlicher) Schienenpersonenverkehr aufgenommen, kann das negative Auswirkungen auf die Kalkulationsgrundlagen und dahinterstehenden Annahmen der öffentlichen Beauftragung haben. Das kann so weit gehen, dass die Organisation und Finanzierung des bestehenden, öffentlich beauftragten Schienenpersonenverkehrsdienstes gefährdet wird. Ausgehend vom EU-Recht besteht daher die Möglichkeit, eine drohende Gefährdung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des öffentlichen Dienstleistungsauftrags von der Schienen-Control Kommission (SCK) prüfen zu lassen, bevor der kommerzielle Verkehr tatsächlich startet. Eine nähere Darstellung dazu findet sich z.B. im Fachbuch Regulierung und Wettbewerb im Schienenverkehr.
Neue Auslegungsprämissen für die eisenbahnrechtliche Wettbewerbsregulierung
Im Jahr 2024 hat die Novelle des Eisenbahngesetzes neue Auslegungsprämissen für die Regulierung des Schienenverkehrsmarktes gebracht. Dort findet sich jetzt u.a. die Klarstellung, dass es nicht nur um die Förderung neuer Markteintritte sondern (auch) um die Sicherstellung eines integralen Taktfahrplans mit angemessenen Umsteigezeiten in Knotenbahnhöfen (dazu auch gleich unten) sowie eine systematisierte Nutzung der verfügbaren Fahrwegkapazität geht (vgl. § 54 Z 5 und Z 6 EisbG). Es bleibt abzuwarten, wie sich diese neuen Zielsetzungen in Zukunft auf die Anwendung des marktbezogenen Eisenbahnregulierungsrechts auswirken werden.
Vorrang für symmetrisch vertaktete bzw. gemeinwirtschaftlich beauftragte Verkehre auf überlasteten Strecken
Wurde eine Strecke für überastet erklärt, sind bei der Netzfahrplanerstellung Begehren auf Zuweisung von Fahrwegkapazität für symmetrisch vertaktene Personenverkehre (Z 1) sowie für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im Personenverkehr in den Hauptverkehrszeiten (Z 2) vorrangig zu berücksichtigen (§ 65c Abs 3 EisbG). Schwachstelle dieser Regelung ist und bleibt, dass sie voraussetzt, dass der Infrastrukturbetreiber die betroffene Strecke für überlastet deklariert.
Mehr Absicherung für Umsetzung des integralen Taktfahrplans
Zuletzt hat die EisbG-Novelle 2024 klargestellt, dass für Streckenabschnitte, die gemäß der Leitstrategie des BMK für den Ausbau und die effektive Nutzung der Eisenbahninfrastruktur hoch ausgelastet sind, vom Infrastrukturbetreiber ein Kapazitätsmodell zur effektiven Nutzung der Eisenbahninfrastruktur zu erstellen und in den SNNB zu veröffentlichen ist (§ 63b Abs 1 EisbG). Das Kapazitätsmodell ist gemäß § 54 EisbG zu erstellen und hat daher u.a. auch die Sicherstellung des integralen Taktfahrplans mit angemessenen Umsteigezeiten in Knotenbahnhöfen zu berücksichtigen. Mit den systematisierten Fahrwegkapazitäten des Kapazitätsmodells im Einklang stehende Begehren auf Zuweisung von Fahrwegkapazität sind in weiterer Folge bei der Trassenzuweisung vorrangig zu berücksichtigen (vgl. § 63b Abs 2 und § 65 Abs 6 EisbG). Diese Regelungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers künftig die zuverlässigere Umsetzung des integralen Taktfahrplans im Rahmen der Fahrplanerstellung ermöglichen. Es bleibt abzuwarten, ob sie diese Aufgabe erfüllen können.
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